Vergangene Woche fand erneut und zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Kantabend statt. Der Raum
war gut gefüllt und nach zwei kurzen Ansprachen, eine durch Herrn Klein und eine weitere durch
Herrn Schleicher, einen Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung, mit deren Hilfe die Veranstaltung
organisiert wurde, stellten sich die Gäste vor: Nadja Klier ist die Tochter einer bekannten DDRBürgerrechtlerin. 1988 wurde Sie mit ihren Eltern aus dem Land ausgebürgert. Der andere Gast,
wegen dem wohl viele Oberstufenschüler den Kantabend besuchten, Ingo Hasselbach, stammt
ebenfalls aus der DDR und war dort inhaftiert. In den frühen 1990er Jahren wurde er zu einem der
bekanntesten Neonazis Deutschlands. 1993 zog er sich aus dieser Szene zurück und hat seither die
Aussteigerorganisation EXIT aufgebaut.
Die beiden präsentierten uns den von ihnen gedrehten Film „Wir wolln Euch mal wat fragen!“, in dem
sie über ihre Jugend im „Arbeiter- und Bauernstaat“ sprechen. Nadja Klier erzählt darin von der
Überwachung durch die Staatssicherheit, Hasselbach von seiner Jugend als Punk und seiner
Inhaftierung in verschiedenen Gefängnissen der DDR.
Danach gab es Fragen zu seiner Inhaftierung und seinem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene. Er
erzählte, dass er das erste Mal inhaftiert wurde, nachdem er mit einem Freund auf einer Feier im
Stadtpark Lichtenberg gerufen hatte: “Die Mauer muss weg“ und wie er später für verschiedene
Fluchtversuche als Jugendlicher mehr als drei Jahre einsaß. Er erklärte, wie ihn seine Ablehnung
gegenüber der „antifaschistischen“ DDR danach in die Neonaziszene brachte. Er gründete nach dem
Mauerfall die erste rechtsextreme Partei der DDR mit und gehörte zu den rechten Hausbesetzern in
Deutschland, die in den frühen 90ern Häuser, auch in der Nähe unserer Schule, besetzten. Nach
einem tödlichen Anschlag auf türkische Asylbewerber stieg er aus.
Nadja Klier hingegen berichtete über ihre Erfahrung als Kind von Bürgerrechtlern und über die
Dauerbeobachtung durch die Stasi: „Wie bei „Das Leben der Anderen“(Film), plötzlich konnte man
bei uns im Haus den Dachboden nicht mehr betreten.“ Sie erzählte, wie erst ihre Eltern und dann sie
ausgebürgert wurden und das Land verlassen mussten.
Auf die Frage, was sie denn davon halten, wenn Personen sagen: „Es war doch nicht alles schlecht in
der DDR“ antworteten sie, dass auch nicht alles schlecht war, aber es keinen Platz für Individualismus,
Freiheiten, insbesondere auch für junge Menschen gab.
Die beiden empfohlen uns noch ihr Projekt, die „DDR-Box“, eine Website die Zeitzeugenberichte und
Lernfilme zu verschiedensten Themen der DDR bereitstellt. Wer sich das selber einmal anschauen
möchte, findet es unter https://www.ddrbox.de
Zu den gestellten Fragen zeigten sie auch Bilder, um uns einen noch tieferen Eindruck zu vermitteln.
Das Interesse war groß, der Kantabend dauerte lange. Als die Gäste sich verabschiedeten gab es viel
Applaus für die beiden.
Zeitzeugen sind eine wichtige historische Quelle, die uns helfen können, Ereignisse der Vergangenheit
besser einordnen und verstehen zu können. Daher war es sehr spannend, Nadja Klier und Ingo
Hasselbach zuzuhören, wie sie ihre außergewöhnlichen Lebensgeschichten erzählten. Man kriegt
nicht häufig die Chance, Personen Fragen zu stellen, die aktiv am Zeitgeschehen beteiligt waren.
Daher kann man den Kantabend nur als einzigartiges Erlebnis und großen Erfolg bezeichnen.
Autor: Karl Ole Tiemann (November 2023)